Nobelpreis und Universität Wien–Gruppenbild mit Fragezeichen

Derzeit arbeiten wir anlässlich der Verleihung des Nobelpreises an Emanuelle Charpentier (2020) und Anton Zeilinger (2022) an der Erweiterung und Rekontextualisierung der Skulptur.

Zu Kontext und Umsetzung der Skulptur 2003–2006

Der Nobelpreis ist die weltweit angesehenste wissenschaftliche Auszeichnung. Die Universität Wien hat sich im Zuge des Umbaus und der Sanierung von Aula, Seitenaulen und Arkadenhof 2003–2006 entschieden, sowohl den Siegfriedskopf als auch die Nobelpreisträger durch Kunstprojekte jeweils in einen neuen Kontext zu stellen. Ziel und Aufgabenstellung war es nicht, symbolische Aberkennungen auszusprechen oder Denkmäler zu entfernen, sondern kritische Aspekte sichtbar zu machen, zu dokumentieren und zu benennen und so einen Prozess der Auseinandersetzung zu initiieren.

Seit 2006 werden Nobelpreis und Universität Wien–Gruppenbild mit Fragezeichen in dieser neuen Form präsentiert. Der Titel thematisiert mit der Gesamtinszenierung, Reflexion und Sichtbarmachung die Involvierung einiger Nobelpreisträger in den Nationalsozialismus und die Vertreibung anderer durch den Nationalsozialismus (es wurde zwar wenig unternommen, um die Vertriebenen nach 1945 wieder für die Universität zurückzugewinnen, nach ihrer Auszeichnung mit dem Nobelpreis wurden sie aber für Österreich vereinnahmt) und initiiert eine kritische Auseinandersetzung samt sachlicher Aufarbeitung der Geschichte.

Bis 2019 standen neun Nobelpreisträger in Beziehung zur Universität Wien und verbrachten hier einen Teil ihrer wissenschaftlichen Laufbahn: Robert Bárány, Julius Wagner-Jauregg, Hans Fischer, Karl Landsteiner, Erwin Schrödinger, Viktor Franz Hess, Otto Loewi, Konrad Lorenz und Friedrich August von HayekAngaben zur Verbindung der Nobelpreisträger mit der Universität Wien und weitere Informationen zu Leben und Werk – u.a. auch zur Diskussion ihrer Involvierung in den Nationalsozialismus oder aber ihre Vertreibung durch den Nationalsozialismusfinden Sie hier.

Die Universität Wien hat im Jahr 2012, ohne uns oder das Institut für Zeitgeschichte heranzuziehen, die Brüstung nach einer Säureattacke erneuert und bei dieser Gelegenheit einige Änderungen vorgenommen, die Sinn und Inhalt unserer Arbeit in sein Gegenteil verkehrte und die Bedeutung des Fragezeichens versteckte. So wurde aus einer kritischen Inszenierung ein „Ehrendenkmal“ konstruiert. (u.a. wurde der Titel unseres Werkes um „–Gruppenbild mit Fragezeichen“ verkürzt. Hinweise zu Konrad Lorenz‘ und Julius Wagner-Jauregg’s Involvierung in den Nationalsozialismus, versehen mit entsprechenden links, sind ebenso wie unsere Signatur verschwunden. Der Begleittext, der zur freien Entnahme auflag und auch die Bedeutung des Fragezeichens erklärte, wurde aus Brandschutzgründen entfernt.) Es ist in den vergangenen Jahren nicht gelungen diese Änderungen zu korrigieren, die Bedeutung des Fragezeichens auf der Brüstung zu verankern und einen Folder zur freien Entnahme aufzulegen. Im Interesse der Universität. Anlässlich der sich derzeit in Erweiterung befindenden Skulptur werden wir das nun korrigieren. Die Arbeit soll 2024 fertig gestellt sein.

DIE STELE MIT DEM FRAGEZEICHEN

… bildet das Zentrum der Installation. Sie ist Platzhalterin für alle WissenschafterInnen, deren Forschungen an der Universität Wien durch Antisemitismus, Nationalsozialismus und Vertreibung jäh unterbrochen wurden.

… verweist auf den fragwürdigen Umgang der Universität Wien mit den vertriebenen ForscherInnen. Einerseits wurde wenig unternommen, um die Vertriebenen nach 1945 wieder für die Universität zurückzugewinnen, andererseits wurden Vertriebene nach ihrer Auszeichnung mit dem Nobelpreis für Österreich vereinnahmt.

… steht für diese Leerstelle, die bis in die Gegenwart reicht und bleibt.

… verweist mit dem Titel „Nobelpreis und Universität Wien – Gruppenbild mit Fragezeichen“ auf fehlende Frauen.

… fragt nach dem Warum und blickt in die Zukunft. Wird es in Zukunft vor dem Hintergrund des noch immer nicht vollständig überwundenen Aderlasses viele weitere Nobelpreisträgerinnen geben? Und wird die Universität Wien in Zukunft immer stark genug sein, einen derartigen Umgang mit Menschen, aber auch mit Lehr- und Forschungsfreiheit hintanzuhalten und damit weitere NobelpreisträgerInnen ermöglichen?

Die Gesamtinszenierung – inklusive einer sachlichen Aufarbeitung der Vergangenheit – kann mit dem bildlichen Vergegenwärtigen von außerordentlichen wissenschaftlichen Leistungen als Motivation für die Zukunft und ihre Möglichkeiten gesehen werden.

Künstlerisches Konzept und technische Umsetzung, Infografik, Fotografie, Fotodokumentation:
Bele Marx & Gilles Mussard

Produktion:
Atelier Photoglas

Auftrag im Rahmen des Projekts:
Neugestaltung der Hauptaula, Seitenaulen und des Hoftraktes der Universität Wien, Österreich

Architektur:
BAUMEISTERARCHITEKTEN, Arch. Roger Baumeister

Wissenschaftliche Beratung:
Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien, Friedrich Stadler und Herbert Posch

AutorInnen der Kurzbiografien der Nobelpreisträger*:
Katharina Kniefacz, Sonia Horn

Informationen zu Leben und Werk der Nobelpreisträger* –
u.a. auch zur Diskussion ihrer Involvierung in den Nationalsozialismus oder aber ihre Vertreibung durch den Nationalsozialismus – finden Sie hier

Planung und Realisierung:
2003–2006

Auftraggeberin:
Universität Wien, Bundesimmobiliengesellschaft (BIG)

Ort:
Aula, Hauptgebäude der Universität Wien, Universitätsring 1, 1010 Wien, Österreich
www.univie.ac.at

Bildrechte:
Imagno, brandstätter images (für K. Landsteiner, E. Schrödinger, V. F. Hess, O. Loewi)
ÖNB, Österreichische Nationalbibliothek (für R. Bárány, J. Wagner-Jauregg, F. A. von Hayek)
Universität Wien (für K. Lorenz, H. Fischer)

Statik:
Gmeiner Haferl Zivilingenieure zt GmbH

Glas-Technik:
Photoglas

Glasqualität:
Schott Austria GmbH

Metallkonstruktion:
Breit Hafner OEG

Beleuchtung:
Erco Leuchten GmbH

Eröffnung:
29. Juni 2006

© für Fotografie, sofern nicht anders gekennzeichnet:
Bele Marx & Gilles Mussard

*derzeit wird anlässlich der Verleihung des Nobelpreises an Emanuelle Charpentier (2020) und Anton Zeilinger (2022) an der Erweiterung der Skulptur gearbeitet

www.belegilles.com