Rektorenfasten – ins licht gerückt

Die Rektorenfasten, auf der alle Namen der ehemaligen Rektoren aufgelistet sind, befindet sich in der Aula im Hauptgebäude links in der Nische. Nach Ende der Amtszeit eines Rektors wird traditionell dessen Name in latinisierter Form in die sogenannten Rektorenfasten, die marmorne Gedenktafel im Foyer, in goldener Schrift eingemeißelt. Eine Ausnahme bilden die Jahre 1936 bis 1945, in denen dieses Ritual ausgesetzt wird. In der Nachkriegszeit nimmt die Universität die Tradition wieder auf. Es werden zunächst symbolisch zwei Zeilen für die NS-Zeit freigelassen, dann wird die Liste fortgesetzt. Die so entstandene Lücke wird jedoch vom Senat der Universität Wien unter dem Vorsitz des Rektors im Studienjahr 1958/59 wieder gefüllt.
Im Jubiläumsjahr 2015 gibt die Universität Wien dazu eine Stellungnahme ab, welche Ausgangspunkt und nun zentrales Textelement der Lichtintervention Rektorenfasten–ins licht gerückt von Bele Marx & Gilles Mussard ist.

Licht auf die Schattenwelt werfen

Über eine Glasstele vor der Marmortafel wird der Text auf den Boden projiziert und lädt damit den Betrachter/die Betrachterin zum Betreten der Nische ein. Gleichzeitig setzt sich die Stele durch Spiegelung optisch in einen weiteren Raum fort. Teil der künstlerischen Intervention ist zudem die Entfernung des Goldes in der Gravur der nachgetragenen NS-Rektoren und die Ausleuchtung der Kuppel mit gelbem Licht.
Dem schweren, ehernen Marmor setzt das Künstlerpaar Licht und Glas entgegen, die symbolisch für Aufklärung und Transparenz stehen. Durch den ephemeren Eingriff mittels Licht und Reflexion muss der Betrachter/die Betrachterin sich neu orientieren, die marmorn-manifeste Ordnung wird durchbrochen. Marx & Mussard wollen mit der Lichtintervention Rektorenfasten–ins licht gerückt eine Diskussion anregen, die eine lebendige Gedenkkultur erst ermöglicht.
Der obere Teil der Stele bleibt transparent. Damit wird der betreffende Zeitraum in etwa umrahmt und auf die fehlende Transparenz verwiesen, aber auch auf den notwendigen transparenten Umgang mit der Geschichte zur Zeit der ersten Republik, vor, während und nach der NS-Zeit.
Das Gold in der 1959 nachgetragenen Gravur der Rektoren der NS-Zeit wurde entfernt. Das nimmt den beiden Rektoren die nachträgliche, ehrenhafte Verherrlichung und den Glanz. Außerdem ist es ein Hinweis auf die spätere Manipulation 1959.

Rektorenfasten – ins licht gerückt

und man siehet die im Lichte
die im Dunkeln sieht man nicht
Berthold Brecht, Dreigroschenoper

Licht auf die Schattenwelt werfen

Die Wissenschaft ist wie die Philosophie bemüht, aus dem Dunkel ihrer Denkhöhle herauszutreten ins Licht, um zu sehen, (Irrtum) zu erkennen, und nicht bloß die Schatten an den Wänden zu deuten: nicht bloß das Eigene, Bekannte zu reflektieren, sondern ein Licht zu werfen auf Sachverhalte, die übersehen oder bewusst verdeckt/ignoriert werden.

Der ‚Lichtkommentar‘ zur Rektorentafel der Universität Wien von Bele Marx & Gilles Mussard will ebendiesen Punkt beleuchten, gleichzeitig hinterfragen. Wie steht es mit der Aufarbeitung der Geschichte unrühmlicher Zeiten? Was steckt hinter der langen Namensreihe der Rektorentafel, die ein „Symbol der ungebrochenen Selbständigkeit der Universität darstellen, ihre – reale oder idealisierte – Autonomie der freien Wahl des Leiters ausdrücken“ soll? Dieser ‚ehrwürdige Stammbaum‘ der Universität wird auf den zweiten Blick teilweise brüchig: Wie umgehen mit der Geschichte der ersten Republik und der NS-Zeit?

Die Lichtinstallation von Marx & Mussard will darauf keine vorgefertigte Antwort geben, vielmehr auf eine Leerstelle (die leere Stele) hinweisen, die einen langen Schatten wirft, und so eine Diskussion anregen, die eine lebendige Gedenkkultur erst ermöglicht. Einen Schatten zu fassen ist unmöglich – dennoch ist oft erst das Auftreten eines Schattens der Beweis für die Wirklichkeit eines Gegenstandes.

Bekanntermaßen steht Licht seit jeher für Weisheit, für die Befreiung aus Ideologie und Kurzsichtigkeit, in der Physik für die fünfte Dimension. In der Tradition der Lehre ist es das tragende Element – nicht erst seit dem Sonnengleichnis von Platon bzw. Sokrates. Das Licht der Erkenntnis weiterzugeben, ist Auftrag an jede Universität.

Zu Licht und Kunst
Licht und Schatten sind zentrale Elemente der Kunst. Bedeutende Künstlerinnen und Künstler wie Olafur Eliasson, Dan Flavin, Rebecca Horn, Waltraud Cooper oder James Turrell haben erkannt, wie gerade durch Licht die vorgefundene Struktur eines Raumes, seine Atmosphäre verändert werden kann. Was wir sehen, ist Licht. Es lenkt unseren Blick. Durch Lichtinstallation wird der reale Raumbezug aufgehoben und neu konzipiert. Durch diesen ephemeren Eingriff wird künstlerisch eine scheinbare, marmorn-manifeste Ordnung durchbrochen. So wird einer Praxis gelebter Intransparenz durch Glas und Licht ein transparenter Raum entgegengesetzt.
Bele Marx & Gilles Mussard fordern durch diese Lichtintervention – wie in den Arbeiten Kontroverse Siegfriedskopf und Nobelpreis und Universität Wien–Gruppenbild mit Fragezeichen – dazu auf, sich kritisch mit der Geschichte der Universität, welche auch die Geschichte einer nationalen Denktradition reflektiert, auseinanderzusetzen.

Elvira M. Gross

Rektorenfasten – ins licht gerückt

Künstlerisches Konzept und
technische Umsetzung, Infografik,
Fotografie, Fotodokumentation:
Bele Marx & Gilles Mussard

Philosophische Begleitung und Text:
Elvira M. Gross

Wissenschaftliche Beratung:
Institut für Zeitgeschichte,
Universität Wien

Planung und Realisierung:
2015–2017

Auftraggeberin:
Universität Wien

Ort:
Aula der Universität Wien
1010 Wien, Universitätsring 1

Produktion:
Atelier Photoglas

Glastechnik Stele:
isophon glas GmbH

Montage Stele:
Petschenig glastec GmbH

Beleuchtung:
Erco GmbH und
Osram Licht AG

Eröffnung:
19. April 2017

Fotografie, Bildbearbeitung und Grafik, sofern nicht anders gekennzeichnet:
Bele Marx

© für Fotografie und Grafik, sofern nicht anders gekennzeichnet:
Bele Marx & Gilles Mussard

www.belegilles.com

Mit herzlichem Dank an:
Elvira M. Gross
Herbert Posch
Klaus Taschwer
Cornelia Blum
Alexander Arnberger
Daniela Mautner Markhof
Eva Nowotny
Thomas Leitner GOBOworks
Erco GmbH
isophon glas GmbH
Petschenig glastec GmbH

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